Was sich neckt ist toxisch
Eine der zentralen Lebensregeln, die ich meinem Kind von Anfang an vermittle, lautet: Schlage einen möglichst großen Bogen um Menschen, die dich doof behandeln.
Das mögen viele für eine Selbstverständlichkeit halten, aber so banal ist es nicht. Daran hat mich dieses Werbeplakat erinnert, an dem ich letztens mit meiner Tochter vorbeigegangen bin. “Disney zeigt nur toxische Beziehungen” hatte jemand die Reklame für Treuepunkte und Disney-Prämien mit Spraydose ergänzt.
Mama, was ist toxisch?
“Wahre Worte”, ging es mir durch den Kopf. Und während ich das Plakat fotografiere und den Bildausschnitt wähle (Ja, ich gehöre noch zur Generation Analogfilm: Ich wähle den Bildausschnitt bevor ich das Bild aufnehme), fragt mich meine Tochter: “Mama, was ist toxisch? Und wieso Disney?”
Einvernehmlichkeit? Nicht für Dornröschen
Tja, und dann muss ich mir überlegen, wie ich “toxisch” kindgerecht erkläre. Bislang hat mein Kind wenig Interesse an Disney-Filmen gezeigt. Märchen haben wir auch kaum gelesen. Ich kann also schlecht als Beispiel Dornröschen bringen, die ohne ihre Zustimmung geküsst wird. Oder Belle, die akzeptiert, dass sie gefangen gehalten wird und sich sogar noch in ihren Geiselnehmer verliebt (Hier gibt es eine zauberhafte Zusammenstellung, wie Disneyprinzessinnen mit psychologischer Hilfe ihre Situation überdenken https://www.instagram.com/p/CEDfa4HHx5g/
Beziehungen wie Gift
Also fange ich direkt beim Begriff an: “Toxisch heißt giftig.”- “Giftige Beziehungen?” — “Ja, Beziehungen, die einem nicht gut tun. Die einen krank machen. So wie Gift. Wenn man verliebt ist, aber auch bei Freundschaften.” Das Kind hört schweigend zu. Es kommen keine weiteren Fragen. Zu viel erklärt? Zu wenig? Zu abstrakt?
Gutemine und Majestix
Als das Kind schon eingeschlafen ist, fällt mir ein, dass wir uns schon mehrfach ausführlicher mit einer toxischen Beziehung beschäftigt haben. Allerdings nicht im Disney-Universum, sondern in dem von Asterix und Obelix: Mit der Ehe von Majestix und Gutemine nämlich. Deren Beziehung ist von einem deprimierenden Mangel an Respekt und großer Lieblosigkeit geprägt. Sie nennt ihn ständig dumm und dick. Er nimmt sie im Gegenzug nicht ernst und behandelt sie wie seine Haushälterin. Über die unschöne Dynamik zwischen den beiden haben mein Kind und ich schon öfter gesprochen, wobei der Begriff “toxisch” dabei nicht gefallen ist.
Kein feministisches Bullerbü
Grundsätzlich ist das Frauenbild in den Asterix-Heftchen schaurig und hat schon reichlich Anlass für aufklärende Gespräche geliefert. Ich bin da so etwas wie die kommentierende Ausgabe, die beim vorlesen kritisch anmerkt, dass viele Frauen nicht einmal einen Namen haben. Oder dass die Frauen meistens nicht mitfeiern dürfen, sondern nur bedienen. Und warum ich mich weigere, den Begriff “Weiber” vorzulesen. Warum ich Asterix trotzdem nicht aus unserem Bücherregal verbannt habe? Weil ich viele von den Heftchen immer noch für grandiose Unterhaltung halte. Weil ich Uderzos pointierten Strich verehre. Und weil ich nicht daran glaube, meine Tochter im feministischen Bullerbü großzuziehen und solche Frauenbilder auszuklammern. Im Gegenteil. Es ist wichtig, dass ich sie darauf vorbereite, was in der Welt da draußen auf sie wartet. Und dass sie solchen frauenfeindlichen Mist nicht als normal hinnimmt.
Früh übt sich
Ein Teil dieser Vorbereitung ist für mich, sie zu ermuntern, von Anfang an giftige Beziehungen zu vermeiden. Ich habe natürlich die Hoffnung, dass sich meine Tochter, wenn sie von klein auf lernt, sich gegen gemeine Gleichaltrige abzugrenzen, später als erwachsene Frau erst gar nicht auf toxische Liebesbeziehungen einlässt.
Die Welt ist voll mit netten Menschen
Es ist mehr als einmal vorgekommen, dass mein Kind aus der Schule nach Hause kommt und sich beklagt, dass andere Kinder in der Hofpause eklig zu ihr sind und sie nicht mitspielen lassen. Mein Mantra ist dann: “Ja, das tut weh und das möchte keiner erleben. Aber gucke dich mal auf dem Schulhof um. Da sind bestimmt noch andere Kinder, die keinen zum spielen haben und sich freuen, wenn du sie fragst ob sie mit dir spielen.” Die Welt da draußen ist voll mit netten Menschen. Da muss man sich echt nicht mit den Ekeln abgeben.
Zöpfe ziehen als Liebesbeweis
Beim Meide-die-Giftigen-Training muss ich oft daran denken, was man mir als Kind noch erzählt hat: “Was sich neckt, das liebt sich”. “Der zieht dir an den Zöpfen, weil er sich nicht traut zu zeigen, dass er dich mag. So sind Jungs nun mal.” Bullshit. Toxischer Bullshit, mit denen Eltern ihre Töchter dazu erziehen, übergriffiges Verhalten klaglos zu akzeptieren und auch noch als Zuneigungsbeweis zu interpretieren.
Tränen gehören dazu
Mein Kind wird sich im Laufe seines Lebens gewiss auch in Blödmänner oder ‑frauen verlieben und darüber allerlei Tränen vergießen. Das gehört zum reifen und Welt verstehen dazu und das kann ich meinem Kind nicht ersparen. Aber ich kann erklären und vorleben, wie es sich ein sicheres Netz aus gesunden und schützenden Beziehungen knüpft. Ich wünsche mir, dass meine Tochter gar nicht in die Versuchung kommt, hinter ekligem Verhalten Zuneigung zu suchen oder gar Liebe hineinzuprojizieren. Damit das klappt, braucht es natürlich auch Eltern, die ihren Söhnen ein gutes Frauenbild vermitteln und ihnen beibringen, wie man sich gegenüber anderen respektvoll und aufmerksam verhält. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.
Der Samen geht auf
Letztens habe ich mein Kind gefragt, ob ich die Mutter von Kind XY mal anschreiben soll, damit wir uns auf dem Spielplatz verabreden. Da hat mein Kind geantwortet, dass es das nicht möchte. Es mag XY zwar, aber mal sei XY total nett und am nächsten Tag wieder ablehnend und unfreundlich. Darauf hat mein Kind keine Lust, da möchte es sich lieber mit jemand anderem treffen. Die Reaktion hat mich wirklich gefreut und auch ein bisschen stolz gemacht. Der Samen, den ich gesät habe, geht also tatsächlich auf.
Stay tuned.
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