Neue Zeiten brauchen neue Fragen
Seit ein paar Wochen ist meine Tochter in der Schule. Aufregende Zeiten. Für mein Kind und natürlich auch für mich. Die spätgebärende Gluckenmutti muss wieder ein Stück weiter ihren Flügel lüpfen und ihr kleines Küken, das doch GERADE ERST geschlüpft ist, aus dem warmen Nest ziehen lassen. Ga-gaaaaack.
“Deutsch” heißt oft Abstammung
Meine (nicht mehr ganz so) Kleine besucht eine Gemeinschaftsschule im schönen Moabiter Kiez und seit Tag eins taucht immer wieder die Frage auf, wie viele deutsche Kinder in ihrer Klasse sind. Wobei „deutsch“ hier nicht die Staatsbürgerschaft meint, sondern in guter teutonischer Tradition die Abstammung. Also, wie viele der Kinder klassische Wurzeldeutsche sind – blond, blauäugig und angestammt auf großdeutscher Scholle seit Anno Weißkohl. Ein bisschen wundern mein Mann und ich uns über diese Frage, denn die Bevölkerungszusammensetzung von Moabit ist allgemein bekannt. Und tatsächlich sind blasse, blonde Kinder wie Leni in ihrer Schule in der Minderheit und weniger vertreten als noch in der Kita. Denn pünktlich zur Einschulung sind mehrere wurzeldeutsche Familien weggezogen – zurück in die Heimat oder an den Stadtrand. Dadurch wurde die Gruppe der Schulanfänger spürbar entmischt.
Nicht auf die verrufene Einzugsgrundschule
Ein bisschen haben wir allerdings auch zur Entmischung beigetragen, aber wirklich nur ein bisschen. Denn wir haben, wie viele andere Familien auch, einen Bogen um die verrufene Einzugsgrundschule gemacht. Ich bekenne: Waren mangelnde Deutschkenntnisse oder unschönes Sozialverhalten bei Kindern in der Kita noch bedauerlich, sind solche Wissenslücken jetzt ein Grund, das Kind nicht mit eben diesen Kita-Kollegen zusammen einzuschulen. Kita war Spaß, jetzt wird es Ernst. Gleichzeitig sind wir aber im Kiez geblieben – die Gemeinschaftsschule liegt in direkter Nachbarschaft – und somit weiterhin voll drin in der Moabiter Mischung.
Die Herkunft der Eltern ist nicht entscheidend
Letztlich ist die Frage nach der Herkunft in Moabit einfach nicht die richtige. Die Menschen hier haben Wurzeln in der ganzen Welt. Ich hatte in einem ersten Entwurf „halbe Welt“ geschrieben, aber ich glaube, damit komme ich nicht mal hin. Und genau das macht ja den Charme von Moabit aus. Aber die Abstammung der Eltern (oder der Großeltern) ist nicht entscheidend für das Lernklima in der Klasse, sondern Aspekte wie: sprechen die Kinder beschulbar deutsch, können sie sich in sozialen Zusammenhängen benehmen und haben die Eltern ein Interesse an einem erfolgreichen Schulbesuch ihrer Kinder. Das ist die Checkliste, die ich beim ersten Elternabend im Kopf hatte, und wo ich für mich erfreulich viele Häkchen machen konnte.
Ich habe nichts gegen Katholiken, aber …
Eine andere Frage, die sich auch irgendwie falsch anfühlt, und die in den Monaten vor der Einschulung häufiger kam, war die, warum wir unser Kind nicht auf die schwer populäre katholische Grundschule schicken. Sie liegt direkt gegenüber und die Eltern balgen sich alljährlich geradezu um die handverlesenen Schulplätze. Dabei weiß jeder, der mich auch nur oberflächlich kennt, dass ich nicht nur Protestantin und Feministin bin, sondern auch eine aufrechte Seele, die nur schwer ihren Mund halten kann. Ich habe nichts gegen Katholiken, einige meiner besten Freundinnen sind katholisch. Aber ich könnte mein Kind nicht mit ruhigem Gewissen den ganzen Tag katholischer Propaganda aussetzen und erst recht nicht unkommentiert. Schon meine Oma war schlecht auf den Papst zu sprechen und hat sogar mal darüber sinniert, dass man ihm die … äh … Hoden entfernen sollte, weil er die eh nicht braucht. Ich könnte da bei keinem Elternabend sitzen, ohne die – im Original deutlich gröberen – Worte meiner Oma im Kopf zu haben, zu deren Andenken meine Tochter ihren Namen trägt, mal so nebenbei bemerkt.
Doch noch ist sowieso alles neu und flauschig in der Schule. Mal sehen, was ich in einem halben Jahr schreibe, wenn ich halbwegs abschätzen kann, ob meine eigenen Fragen die richtigen waren — und ob mir alle Antworten darauf gefallen.
Stay tuned.