Moabit, mon amour!

Moabit, mon amour!

Habe ich etwa geschrie­ben, dass mir Moa­bit zuwei­len zu bunt und divers ist? Wie konn­te ich nur … Ich nehme sofort alles zurück und behaup­te das Gegenteil.

Und wie so oft ist der Grund für so eine Hori­zont­er­wei­te­rung das Rei­sen. Jüngst habe ich mich zusam­men mit mei­ner Toch­ter in den Prenz­lau­er Berg auf­ge­macht, wo Freun­de von mir mit ihren Kin­dern woh­nen. Es war Bil­der­buch­fest am Helm­holtz­platz, das pass­te doch gut für unse­re buch­be­geis­te­ren Kleinen. 

Wo ist die Berliner Melange?

Es war ein schö­ner Tag und die Stra­ßen rund um den Helm­holtz­platz waren erwar­tungs­ge­mäß picke­pa­ckevoll. So weit, so nor­mal. Aber was mich zügig irri­tier­te, war die Mischung der Leute — oder bes­ser die feh­len­de Mischung. Es waren wirk­lich nur weiße Bes­ser­ver­die­ner-Fami­li­en zu sehen. Oder zumin­dest waren es so viele, dass sie das Bild auf der Stra­ße domi­niert haben. Ich habe hin­ter mir in der Schlan­ge vorm Eis­la­den Dänisch und Eng­lisch gehört, es waren also nicht aus­schließ­lich Deut­sche unter­wegs. Aber die Farb­tup­fer der klas­si­schen Ber­li­ner Melan­ge haben total gefehlt. Und nicht nur die.

Elends-Porno am Helmholtzplatz

Mir fiel auch auf, dass ich keine Ber­li­ner Rent­ner gese­hen habe. Dabei sind die sonst bei jedem Stra­ßen­fest dabei, in der Hoff­nung, einen wei­te­ren Stoff­beu­tel für die hei­mi­sche Samm­lung abstau­ben zu kön­nen. Wer schon ein­mal beim Tag der offe­nen Tür der Bun­des­mi­nis­te­ri­en war, weiß, wovon ich rede. Es gab zwar rüs­ti­ge Pen­sio­nä­re auf dem Bücher­fest, aber die sahen schwer nach Schwie­ger­el­tern aus West­deutsch­land aus, die auf Besuch waren und die Enkel im Emmal­junga durch die Gegend scho­ben (ich habe den Ein­druck, die ganz große Zeit von Bug­a­boo ist vor­bei). Und die sich gemein­sam mit der Fami­lie woh­lig vor den Hard­core-Trin­kern gru­sel­ten, die mit täto­wier­tem Gesicht eini­ge der Park­bän­ke besetzt hiel­ten und erfolg­reich gegen jeg­li­che Gen­tri­fi­zie­rungs­ver­su­che ver­tei­dig­ten. So beka­men die bra­ven Bür­ger ihre erträg­li­che Dosis Elends-Porno, von der sie dann in der gehark­ten Hei­mat berich­ten konn­ten (Stich­wort: die unver­meid­li­che Post­kar­te mit dem Ber­li­ner Punk, die man sei­ner­zeit von der Klas­sen­fahrt nach Hause geschickt hat). Die Trin­ker der­weil ver­folg­ten zahn­los grin­send das bie­de­re Spek­ta­kel und einer von ihnen foto­gra­fier­te belus­tigt die Edel-Ökos und ihre hüb­schen Kin­der mit dem Stiel-Eis aus der Bio-Manu­fak­tur. Aber gemischt hat sich da nichts.

Die Leute genießen das wilde Pflaster

Ich hatte das Gefühl, in einer Ber­li­ner Ver­si­on der “Tru­man Show” gelan­det zu sein. Oder, wie es eine Moa­bi­ter Mut­ter so gut auf den Punkt brach­te, der ich von mei­nem Aus­flug erzähl­te: Es fehl­te das Gewach­se­ne. Und das stimmt. Die Leute zie­hen hin, genie­ßen das wilde Pflas­ter, bekom­men Kin­der, kla­gen die Knei­pen aus den Häu­sern und zie­hen wie­der weg, weil das Kind dann doch lie­ber im Speck­gür­tel oder in Müns­ter oder Kopen­ha­gen ein­ge­schult wer­den soll. Dann kom­men fri­sche Neu­bür­ger, blei­ben ein Weil­chen, haben nichts mehr zum raus­kla­gen und zie­hen auch wei­ter. Alt wird da kaum noch jemand. Und die, die in dem Kiez bereits alt gewor­den sind, kön­nen sich die Mie­ten schon lange nicht mehr leis­ten und muss­ten gehen. Vor über 15 Jah­ren, als ich noch ein Abon­ne­ment vom Tages­spie­gel hatte (so rich­tig auf Papier, die Älte­ren wer­den sich erin­nern), gab es einen inter­es­san­ten Arti­kel über die Gen­tri­fi­zie­rung in Fried­richs­hain. In dem wur­den als Indi­ka­tor für den Wan­del in einem Vier­tel genau diese Rent­ner mit ihren Ein­kaufs­beu­teln aus­ge­macht. Wenn man die nicht mehr auf der Stra­ße sieht, ist die alte Bevöl­ke­rung quasi aus­ge­tauscht. So wie in vie­len Ecken im Prenz­lau­er Berg.

Als Moabit noch schön abgehängt war

Und da lobe ich mir mein Moa­bit. Klar kut­schie­ren hier inzwi­schen auch immer mehr Hips­ter-Eltern mit täto­wier­ten Waden ihre wei­zen­blon­den Kin­der im Las­ten­rad über den Bür­ger­steig. Aber da müs­sen sie dann an der Tre­sen­kraft von der Eck­knei­pe vor­bei, die mit der tür­ki­schen Kiosk­be­trei­be­rin bei der Mor­genzi­ga­ret­te steht und von einem freund­li­chen älte­ren Her­ren (natür­lich mit genau einem sol­chen Ein­kaufs­beu­tel in der Hand) mun­ter und mit Namen gegrüßt wird. Ich stel­le mich dazu und dann quat­schen wir über die alten Zei­ten, wie das war, als Moa­bit noch abge­hängt war und hier kei­ner hin woll­te. Mensch, hät­ten wir mal 1997 eine Woh­nung gekauft … Da kann ich mit­re­den, jawoll. Ich bin zwar zuge­zo­gen, aber schon mehr als die Hälf­te mei­nes Lebens in der Stadt, so dass ich quasi zu den Alt­ein­ge­ses­se­nen gehö­re. Und hof­fent­lich auch blei­be und hier meine Toch­ter groß wer­den sehe und dann irgend­wann mit mei­nem Stoff­beu­tel­chen zum Bolu ein­kau­fen gehe.

Stay tuned.

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