In der Glitzerhölle

In der Glitzerhölle

Seit meine Toch­ter aus dem Klein­kind­al­ter raus ist, bin ich beim Thema „Kla­mot­ten fürs Kind“ stän­dig im Kampf mit dem Sys­tem. Denn gab es für Klein­kin­der noch Klei­dung, die halb­wegs als uni­sex durch­ge­hen konn­te, ist es seit dem Kin­der­gar­ten­al­ter vor­bei mit der gro­ßen Freiheit. 

Tussi oder Macker?

Jetzt muss gewählt wer­den – Tussi oder Macker. Wenn ich ver­su­che, für meine inzwi­schen vier­ein­halb­jäh­ri­ge Toch­ter etwas zum Anzie­hen zu fin­den, könn­te ich jedes Mal zwi­schen die Klei­der­stän­der bre­chen, beim Blick auf die defi­zi­tä­ren Slo­gans, die gera­de­zu zwang­haft auf Mäd­chen­klei­dung gedruckt wird: „Fashion Queen“, „Free Hugs“, „Kiss me“, „Sweet Prin­cess“, „Always Smile“ „Happy Happy Happy“ und was weiß ich noch alles in Pink, Tür­kis und mit Pail­let­ten gar­niert. Gleich­zei­tig will ich meine Klei­ne aber auch nicht in Jung­skla­mot­ten ste­cken und sie mit Spi­der Man, Light­ning McQueen und sons­ti­gem Macker­zeugs auf der Brust her­um­lau­fen lassen.

Pink-Glitter-Sweet-Terror

Warum gibt es so wenig Klei­dung, die ein­fach nur bunt ist? Und warum gibt es keine dyna­mi­schen Sprü­che auf pin­ken Shirts? Warum keine Glit­zer­mons­ter? Keine Pail­let­ten­ra­ke­ten? Zumin­dest finde ich so etwas nicht in den Durch­schnitts­lä­den, in die es mich als Moa­bi­ter Mut­ter im All­tag trägt. Und nein, selbst nähen ist keine Opti­on (wie die treu­en Leser die­ses Blogs wis­sen). Es ist wahr­schein­lich über­flüs­sig zu erwäh­nen, dass ich mich die­sem Pink-Glit­ter-Sweet-Ter­ror ziem­lich hart­lei­big ver­wei­ge­re und so einen Quatsch, wenn es sich irgend­wie ver­mei­den lässt, nicht kaufe.

Eine Öko-Emanze als Mutter

„Armes Kind“, wer­den jetzt eini­ge den­ken. Eine alte Öko-Eman­ze als Mut­ter zu haben, ist echt kein Zucker schle­cken. Das stimmt, zumin­dest zum Teil. Denn das Schick­sal will es, dass all mei­nen ideo­lo­gi­schen Über­zeu­gun­gen zum Trotz immer wie­der Glit­zer, Pink und Pail­let­ten in unse­ren Haus­halt gespült wer­den. Wir leben ja in einer Patch­work-Fami­lie, auch Bonus-Fami­lie genannt. Und für meine Toch­ter bedeu­tet das den Bonus, dass ihre gro­ßen Schwes­tern eine Cou­si­ne im fer­nen Frank­reich haben, die ein paar Jahre älter als meine Klei­ne ist, und deren Mut­ter uns in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den abge­leg­te Klei­dung zukom­men lässt. Immer wie­der tru­deln bei uns rie­si­ge Kar­tons ein, die alle­samt rand­voll mit ent­zü­cken­den Kleid­chen und rosa Shirts mit Glit­zer und Pail­let­ten sind. Alles trés chic. Und natür­lich liebt meine Klei­ne es.

Zensierte Kleidung

Zumin­dest das, was sie davon zu sehen bekommt. Denn ich beken­ne (und hoffe, dass das Inter­net even­tu­ell doch noch ein biss­chen ver­gisst, bevor meine Toch­ter lesen kann): Ich gebe die Klei­dung in der Regel zen­siert wei­ter. Bevor das Kind die Sachen bekommt, gehe ich in einem ruhi­gen Moment die Klei­der durch, grüb­le über jedem Stück und wäge ab: Ein Mini­kleid im Ani­mal­print wan­dert in die Spen­den­tü­te, das süße Kleid­chen mit Schleif­chen darf blei­ben. Beim dun­kel­blau­en Pull­over mit dem gro­ßen gol­de­nen Pail­let­ten­her­zen ringe ich mit mir. Ich weiß, dass die Klei­ne ihn lie­ben wird. Zögern, aber nur kurz. Dun­kel­blau ist ideo­lo­gisch unver­däch­tig und gegen ein biss­chen Gold im All­tag ist nichts ein­zu­wen­den. Er ist genehmigt. 

Ich verrate meine Herrin

Dann ziehe ich einen pas­tell­tür­ki­sen Pull­over aus dem Kar­ton, von dem mich Dis­neys Elsa anlä­chelt. In Pail­let­ten! Ich finde das Teil scheuß­lich. Die Farbe, den Dis­ney-Kitsch, das Schim­mern — ein­fach alles. Aber ich weiß auch: Die Klei­ne liiiiiiii­iebt Anna und Elsa und hört oft genug ein „Nein, das kaufe ich nicht“, wenn sie auf Dis­ney-Mer­chan­di­se-Plun­der zeigt. Tja. Da stehe ich nun und star­re auf die glit­zern­de Elsa, die mich mit ihren Rie­sen­au­gen kokett über die Schul­ter anschmach­tet. Idea­le ver­ra­ten oder Kin­der­traum erfül­len? Ächz. Ich ent­schei­de mich nach seeeeee­ehr lan­gem Rin­gen für letz­te­res, nach­dem der Pull­over schon in der Spen­den­tü­te gelan­det war und ich ihn dann doch wie­der her­aus­ge­zo­gen und wei­ter­ge­grü­belt habe. Die Klei­ne darf den glit­zern­den Femi­nis­tin­nen-Alb­traum haben. Kike­ri­ki. Kike­ri­ki. Kike­ri­ki. Ich habe meine Her­rin verraten. 

Kein Accessoire-Kind

Aber was ist das gegen das begeis­ter­te Quie­ken, als meine Klei­ne spä­ter die Sachen durch­geht und Pail­let­ten­herz und die tür­kis­far­be­ne Elsa ent­deckt? Schließ­lich soll mein Kind nicht zum femi­nis­ti­schen Exem­pel ver­kom­men. Ich glau­be näm­lich nicht an Acces­soire-Kin­der. Meine Klei­ne muss mit ihrer Klei­dung weder mei­nen Style unter­strei­chen noch meine poli­ti­schen Über­zeu­gun­gen zur Schau tra­gen. Das kann ich schon ganz alleine.

Als meine Toch­ter am Tag drauf die Pail­let­ten-Elsa mit einer gepunk­te­ten lila Hose kom­bi­niert, muss ich dann doch tro­cken hus­ten und rege – ver­geb­lich – an, den Pulli lie­ber mit einer Jeans zu tra­gen. Aber was soll‘s: Die Klei­ne ist selig.

So pink, so gut. Auf ihre kaput­te Jeans kam zum Aus­gleich ein Pira­ten­fli­cken. Denn die Dosis macht das Gift.

Stay tuned.

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