Das Tortendilemma

Das Tortendilemma

Und das alles nur, weil ich von einem Anfall von Dis­zi­plin heim­ge­sucht wor­den bin. Aber der Reihe nach: Eine Freun­din und ich haben uns mal wie­der zum Mit­tag­essen getrof­fen. Tra­di­tio­nell zahlt eine das Essen, die ande­re Kaf­fee und Kuchen danach. Da wir uns die­ses Mal im schö­nen Moa­bit tref­fen, geht das Essen in der Markt­hal­le auf mich, der Kuchen im nahe gele­ge­nen Café auf sie.

Kuchen muss gut überlegt sein

Ich über­le­ge mir immer sehr genau, wel­chen Kuchen ich essen will. Nicht jeder ist es wert, dass ich den Wech­sel in die nächs­te Klei­der­grö­ße ris­kie­re. Meine Freun­din und ich ste­hen also lange vor der Vitri­ne des Cafés und debat­tie­ren über die ver­schie­de­nen Kuchen und Tor­ten. Nach reif­li­chem über­le­gen und abwä­gen ent­schei­de ich mich für die Torte mit wei­ßer Mousse au Cho­co­lat und Apri­ko­sen. Sie sieht uner­hört fluf­fig aus und scheint frisch ange­schnit­ten zu sein, oben­drein haben die Stü­cke eine amt­li­che Größe. Oh ja, ich bin bereit für die Sünde.

Bitte keine Kaffeehauskultur

Dum­mer­wei­se legt man in die­sem Café enorm gro­ßen Wert dar­auf, dass die Gäste an ihrem Tisch sit­zen, wenn sie bestel­len. Ein­fach in der Aus­la­ge Kuchen sich­ten, die guten Vor­sät­ze eine Runde um den Block schi­cken und gleich einen Kaf­fee dazu bestel­len, wird hier höchst ungern gese­hen. In der Regel kas­siert man sogar eine Beleh­rung durch das Per­so­nal (Will­kom­men in Preu­ßen!), nicht an der Theke zu bestel­len und doch bitte Platz zu neh­men. Ich nehme an, dass soll irgend­wie beson­ders fein und kul­ti­viert wir­ken, aber ich finde es ein­fach nur umständ­lich. Ich will aller­dings nicht aus­schlie­ßen, dass mein Ver­hält­nis zu Ser­vice und Kaf­fee­haus­kul­tur nach mei­nen zahl­rei­chen Besu­chen in den Kar­stadt-Cafe­te­ri­as der Stadt nach­hal­tig zer­rüt­tet ist. Aber in die­sem Fall ist diese Kuchen-order-Poli­tik gera­de­zu geschäftsschädigend.

Verzicht geht schnell

Denn als wir brav am Tisch sit­zen und meine Freun­din als ers­tes ihre Bestel­lung auf­ge­ben will, gibt es ein Miss­ver­ständ­nis, wel­chen Käse­ku­chen sie haben möch­te. Sie also mit der Kell­ne­rin zurück an die Vitri­ne, kur­zes Pala­ver über die Zuta­ten. Dann viel­leicht doch die Scho­ko­la­dentar­te … Ist die mit Zart­bit­ter? Die Kell­ne­rin erläu­tert freund­lich jedes Gebäck und das gibt mir Gele­gen­heit, noch ein­mal nach­zu­den­ken. Über die Torte. Die Sahne. Die Mousse. Und die weiße Scho­ko­la­de. Ich habe so viel Zeit, dass mir ein Arti­kel rund ums Thema „Abneh­men ohne Diät“ in den Sinn kommt, wo ich den spon­tan ein­leuch­ten­den Satz gele­sen habe, dass es sehr viel schnel­ler geht, sich 200 Kalo­rien zu ver­knei­fen, als die 200 Kalo­rien wie­der abzutrainieren.

Nur einen Kaffee

Wenn ich mich recht ent­sin­ne, hatte das Lauf­band, auf dem ich vor eini­gen Jah­ren den Win­ter über trai­niert habe, behaup­tet, dass ich in 25 Minu­ten bum­me­lig 180 Kalo­rien ver­brannt habe. Für die­ses Tor­ten­stück wäre also grob geschätzt eine knap­pe Stun­de jog­gen fäl­lig. Aber ich kann mich nicht ein­mal mehr daran erin­nern, wann ich mich das letz­te Mal so lange am Stück bewegt habe. Die weiße Scho­ko­la­de lockt, aber die Stim­me der Ver­nunft hat ein­fach zu viel Zeit, Argu­men­te zu sam­meln. Irgend­wie hoffe ich, dass mich die Kell­ne­rin end­lich anspricht, bevor ich auch noch an meine Cho­le­ste­rin­wer­te denke. Aber der Unter­schied zwi­schen dem Käse­ku­chen und dem New York Cheeseca­ke muss erst noch erklärt werden.

Tja, und als ich dann an der Reihe mit mei­ner Bestel­lung bin, höre ich mich sagen: Ich nehme nur einen Kaf­fee. In dem Moment bin ich schwer zufrie­den, dass ich mir das Stück Torte ver­knei­fe. Und dass ich ohne Fut­ter­neid mei­ner Freun­din dabei zuschaue, wie sie genüss­lich ihre Scho­ko­la­dentar­te ver­putzt, lässt mei­nen Stolz noch ein biss­chen mehr anschwellen.

Diszipliniert und trotzdem tot

Doch dann, gegen Abend, auf dem Weg vom Spiel­platz nach Hause, begin­nen die Zwei­fel an mir zu  nagen, ob das wirk­lich eine gute Ent­schei­dung war. Was wäre, wenn mir jetzt hier mit­ten auf dem Bür­ger­steig ein Dach­zie­gel auf dem Kopf fal­len und mich erschla­gen würde – würde ich im letz­ten Atem­zug womög­lich den­ken: Mensch, hätts­te dir doch bloß was gegönnt! Oder: Mensch, stirbs­te doch nicht am Schlag­an­fall! Oder eher: Mensch, so dis­zi­pli­niert und trotz­dem tot!

Ich ste­cke seit­dem in dem Dilem­ma, dass man jeden Tag so leben soll, als wäre er der letz­te. Aber dass dann doch noch erfah­rungs­ge­mäß ein paar Tage mehr dazu­kom­men, und mit Blick auf die will ich leid­lich mein Kampf­ge­wicht hal­ten und die Arte­rio­skle­ro­se ein biss­chen auf spä­ter ver­ta­gen. Alles nicht so ein­fach. Mein aktu­el­ler Kom­pro­miss­vor­schlag an mich selbst: Dem­nächst werde ich noch mal in das besag­te Café gehen, ganz anar­chisch am Tre­sen bestel­len und mir ein feis­tes Stück Torte gön­nen. Aber nicht als Des­sert, son­dern zum Mit­tag. Und den Nach­tisch werde ich mir dann wie­der verkneifen.

Stay tuned.

Kommentare sind geschlossen.