Abdullarazak und Osama
Berlin ist bunt. Moabit ist bunter. Ich mag meine quirlige Nachbarschaft, nicht nur kulinarisch. Aber ich muss auch zugeben, dass ich immer wieder Situationen erlebe, in denen sich das Bunte für mich fremd anfühlt.
Es gibt Tage, da prasseln so viele unterschiedliche Sprachen, Mentalitäten und Weltsichten auf mich ein, dass mich das anstrengt und ich mich nach der Überschaubarkeit vergangener Zeiten zurücksehne. Nach Jahrzehnten in Berlin bin ich dann wieder ganz Dorfmensch und fühle angesichts der übergroßen Vielfalt ein Unbehagen. Nach dem Motto: Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich. Frei übersetzt: Was außerhalb der eingeschränkten Lebenserfahrungen eines Menschen aus einer strukturschwachen, ländlichen Region liegt, das will er auch erst gar nicht kennenlernen, weil es womöglich in einem „Ohauaha“ endet.
Ein breiter Blick auf die Welt
Doch während ich dann mit meiner schmalen Weltsicht hadere, tröstet es mich, dass meine Tochter als Moabiter Pflanze mit einem so viel breiteren Blick auf die Welt aufwächst.
Seit sie knapp ein Jahr alt ist, hat sie eine städtische Kita hier im Kiez besucht und die volle Ladung Moabit genossen. Die Eltern der Kollegen ihrer Kita-Gruppe wurden in den unterschiedlichsten Teilen der Welt geboren – spontan fallen mir der Libanon ein, Marokko, Simbabwe, Guinea, die Türkei, Syrien, Serbien und Bayern. Ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt gebürtige Berliner unter den Eltern dabei sind (muss man inzwischen ja mit der Lupe suchen), immerhin stammen einige aus Brandenburg. Durch meine nordfriesischen Wurzeln trage ich natürlich nicht unwesentlich zum exotischen Charme der Truppe bei.
Mein “bunt” ist ihr “normal”
Erwartungsgemäß hat meine Tochter im Gegensatz zu mir noch nie den Gedanken gewälzt, was sich fremd anfühlt und was nicht. Die Kita-Kinder sind ihre Freunde (und allesamt echte kleine Berliner, fällt mir da ein, braucht man also doch keine Lupe). Einige der Kinder hat sie richtig gern, andere findet sie doof. Das wechselt auch nach Tagesform. Die einen essen Schwein, die anderen halt nicht. Wir sprechen zuhause deutsch, bei anderen werden andere Sprachen gesprochen. Für die einen bedeutet Ferien mit der Familie eine Flugreise nach Nordafrika, für die anderen ein Besuch bei der Oma in Brandenburg. Für mein Kind gehört das alles dazu. Das ist ihr Alltag, mein „bunt“ ist ihr „normal“.
Ich muss noch viel lernen
Namen wie „Abdullarazak“ gehen ihr geschmeidig über die Lippen, und sie weist mich immer wieder geduldig auf den Unterschied zwischen Mohammad und Muhammed hin – zeitweilig gab es in ihrer Gruppe einen Mohammad und zwei Muhammeds, da hat man schnell den Überblick verloren. Grob geschätzt gibt es in Moabit ähnlich viele Muhammeds und Mohammads wie Michaels im Westdeutschland der 70er Jahre. Und während mein Kind nonchalant in einer bunten Welt lebt, zucke ich innerlich zusammen, als ich beim Laterne laufen den Vater eines Kita-Kollegen im Getümmel zu uns rufe und über den ganzen Spielplatz „O‑sa-ma! O‑saaa-maaaaa! Wir sind hiii-eeer!“ brülle. Ich muss noch viel lernen von dem, was mein Kind sich so nebenbei und ohne Mühe aneignet.
Stay tuned.