Aging Goals statt Hyaluron
Älter werden ist für mich als Frau eine zwiespältige Veranstaltung: Auf der einen Seite genieße ich meine über die Jahre gereifte Weisheit und die inzwischen solide verwurzelte Schamlosigkeit. Auf der anderen Seite frustet es mich, wie sich mein Körper schrumpelnd immer kraftloser der Schwerkraft hingibt und jeden Happen Essen zu einem Fettröllchen verstoffwechselt.
Frauen dürfen nicht altern
Dass viele der medial präsenten Frauen meines Alters geliftet und aufgespritzt sind und bei ihren Film- und Fotoaufnahmen milde ausgeleuchtet werden, macht die Sache für mich nicht besser. Doch das soll nicht als Vorwurf an diese Frauen verstanden werden. Männliche Schauspieler dürfen lässig ihre alternden Charaktervisagen zur Schau tragen und bekommen trotzdem in Filmen ein Love Interest zur Seite gestellt, das beharrlich nicht mitaltert. Während Maggie Gyllenhaal mit 37 Jahren nicht gecastet wurde, weil man sie für zu alt befand, die Freundin eines 55-jährigen zu spielen. Andere Schauspielerinnen wie Carrie Ann Moss bekommen in ihren 40ern Rollenangebote als Großmutter. Wer will es diesen Frauen also verübeln, dass sie so lange wie möglich die Fuckability einer 30jährigen suggerieren wollen?
Alle wollen jung wirken
Mir ist schon klar, dass es begrenzt sinnvoll ist, sich mit Hollywood-Schauspielerinnen zu vergleichen, die eine enorme Menge an Zeit und Geld investieren und sich so ziemlich alles verkneifen was Spaß macht, um den jugendlichen Zustand ihres Gesicht zu konservieren. Oder zumindest zu simulieren. Aber diese Gesichter sehe ich — gerade in Zeiten des Lockdowns — momentan regelmäßig und ohne Mundschutz. Und bekomme auf deprimierende Art meinen eigenen Alterungsprozess gespielt, weil bei ihnen der Prozess langsamer zu laufen scheint als bei mir selbst.
Altern macht Angst
Und während ich noch überlege, ob das auf meinem Arm Sommersprossen oder Altersflecken sind, wird mir in meiner feministischen Bubble ein Interview mit der Schauspielerin Justine Bateman in die Timeline gespült. Bateman beschäftigt sich aktuell in ihrem Buch “Face” mit genau diesem Thema: Wie wir Frauen mit dem Altern unseres Gesichts umgehen. Anlass für das Buch war, dass sie sich selbst gegooglet hat und dabei über die Autovervollständigung “Justine Bateman looks old” gestolpert ist. Das hat bei ihr verständlicherweise für reichlich Verunsicherung gesorgt. Aber sie hat als Reaktion nicht einen Termin zum botoxen und Lid straffen gemacht, sondern sich unter dem Hashtag #aginggoals mit ihren Ängsten vorm Altern beschäftigt: “I realized my face is only going to get older,” she says, “so why not take care of whatever fear I have attached to that.” Was, wie wir alle wissen, die deutlich nachhaltigere Taktik ist.
Ein stabiles Ego
Sich mit den eigenen Ängsten auseinander zu setzen ist eine lästige und oft auch schmerzhafte Erfahrung, um die sich die wenigsten Menschen reißen. Erst recht, wenn es um den eigenen Verfall, die Endlichkeit von Jugend und in letzter Konsequenz des Lebens geht. Urangst und so. Aber Faceliftings und Hyaluronspritzen tun auch weh. Und überhaupt: Ein stabiles Ego altert besser als jedes Lifting.
Altersziele?
So viel Einsicht und so wenig Trost. Mein Körper altert spürbar und für mich am sichtbarsten an meinem Gesicht, das ich im Gegensatz zu meinem ebenfalls alternden Hintern mehrfach täglich im Spiegel sehe. Und ich habe noch keine brauchbare Position für mich gefunden, damit entspannt klarzukommen. Was sollen Aging Goals sein? Was sind meine Ziele fürs Alter? Oder beim altern? Oder beides? Wenn ich das Thema google, lande ich direkt bei den üblichen Selbstoptmierungstipps — achten Sie auf Ihre Ernährung, bewegen Sie sich genug, gehen Sie zum Arzt und — das unvermeidliche — bleiben Sie positiv. Himmel, alter Arsch und Zwirn. Darf ich nicht einfach mal nur sein?
Der Weg ist das Ziel
Einfach sein? Moment mal — hier kann die Lösung liegen. Der Weg ist das Ziel. Wie so oft. Lernen loszulassen. Sich nicht an das Verschwindende klammern, sondern das Neue begrüßen. Die Balance finden zwischen Abschiedstrauer und neuen Schritten. Frieden machen mit dem Gang der Welt.
Faltig über Nacht
Wobei ich persönlich nur dann wirklich Frieden machen kann, wenn ich vorher eine Auseinandersetzung hatte. In diesem Fall mit dem Frust über den Verlust meiner Jugend. Gewiss, die habe schon vor vielen Jahren verloren. Aber das war lange Zeit ein schleichender Prozess. Und jetzt — Bamm! Quasi über Nacht ist mein Hals, für den ich lange das Kompliment bekommen hat, dass er “jünger aussieht”, mit einem schuppigen Leguanhals ausgetauscht worden. Aaaahhh! Hilfe! Warum habe ich nicht schon mit Anfang dreißig angefangen, Nachtcreme zu benutzen?
Böser Bleistifttest
Ich weiß noch, wie ich sogar schon in meinen späten 20ern geklagt habe, dass mein schöner Busen langsam aber spürbar abwärts wandert. Und da meinte damals eine Freundin zu mir “Sei doch froh, dass du überhaupt einen schönen Busen gehabt hast”. Schon damals dämmerte mir, dass da viel Wahres dran ist. Oder wie dieser Postkartenspruch heißt: “Ich möchte noch einmal so schlank sein wie damals, als ich dachte ich sei dick”. Davon abgesehen stehen Brüste ab einer gewissen Größe nur noch mit Implantaten ab. Das ist Physik. So viel zum Thema: “Wie der Blick auf manipulierte Körper das eigene Körpergefühl versaut”. Und wer auch immer sich den Bleistifttest ausgedacht hat: Für dich ist ein ganz spezieller Platz in der Hölle reserviert.
Altern — immer anti
Seien wir ehrlich: Diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Alterungsprozess ist auch deshalb so schwer, weil jugendlich sein als erstrebenswert gilt, während alt und faltig werden unbedingt zu vermeiden ist. Wir bekommen Komplimente dafür, dass wir jünger aussehen. Aber selten dafür, dass wir gut altern. Das sagt man höchstens beim Blick in die Illustrierte über Senta Berger. Aber bitte nicht direkt ins Gesicht. “Aging” ist zumeist mit “Anti” verknüpft. Falten sind in der Beziehung ein bisschen wie Mundgeruch. Alle kriegen es mit, aber trotzdem redet man darüber höchstens mit einer guten Freundin im Vertrauen. In der großen Runde will das keiner hören. Sich zwischen die Spielplatzeltern zu stellen und die Frage “Wie geht’s” mit einem “Meine Lippenfältchen deprimieren mich!” zu beantworten ist halt immer noch unpassend .
Raus aus der Scham-Ecke
Umso betörender ist der Ansatz der Aging Goals. Altern ist nicht mehr pfui, sondern darf Ziele haben oder gar eines sein. Endlich wird das Altern wird aus der Scham-Ecke geholt. Denn wie so oft im Leben gilt: Wir können nur wandeln, was wir annehmen. Und es geht auch nicht um zwanghaft positives Denken, das für Trauer keinen Raum lässt. Bei Aging Goals geht es darum, sich in den Fluss des Lebens zu begeben, statt vergeblich dagegen anzustrampeln. Es geht um den Prozess des Reifens. Um Selbstakzeptanz. Es geht darum, bei sich selbst anzukommen. Und in letzter Konsequenz auch um Selbstermächtigung.
Der Weg ist noch weit
Justine Bateman wehrt sich zu Recht dagegen, dass man die offene und ehrliche Auseinandersetzung mit dem Altern ihres Gesichts mutig nennt. Es sagt viel über unsere Welt aus, dass man für diesen Schritt Mut unterstellt. Und es zeigt auch, aus welch tiefem Tal heraus wir unsere Reise hin zu mehr Selbstliebe antreten. Wir Frauen müssen noch einen weiten Weg gehen, bis wir in unseren Gesichtern Charakter und Stärke erkennen und nicht nur die Fältchen, die es zu bekämpfen gilt.
Stay tuned.
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Hier noch ein grandioser Sketch, in dem die Schauspielerin Julia Louis-Dreyfus den letzten Tag ihrer Fuckability feiert.