Coronablues
Irgendwie ist gerade alles Kacke. Ich hänge in einer Erschöpfungsschleife fest, bei der ich den Ausgang nicht finde. Die Schule hat angesichts der galoppierenden Infektionszahlen schon mal den Plan für den Notbetrieb rumgeschickt. Ich trauere meinem Job hinterher, der es nicht durch die Krise geschafft hat. Ich grusel mich davor, was in den USA nach der Präsidentenwahl passieren wird. Im Mittelmeer ertrinken weiter die Menschen. Eine Weltwirtschaftskrise sehe ich auch dräuen. Und dann stecke ich noch in dem Dilemma, dass mein Kind bald Geburtstag hat und ich es unvernünftig finde, in diesen Zeiten einen Kindergeburtstag zu feiern. Gleichzeitig möchte ich meinem gebeutelten Kind nicht auch noch das verwehren. Sie hat schon so oft “Das geht erst wieder, wenn Corona vorbei ist” in diesem Jahr gehört. Und letztlich würden wir doch auch nur Kinder aus ihrem Schulcluster einladen … Ich habe jeden Abend beim Einschlafen Kopfkirmes und es würde mich nicht wundern, wenn mir Frau Merkel demnächst im Traum erscheint und mich zum durchhalten ermahnt.
Corona bringt nicht bevorzugt Grundschulkinder auf die Intensivstation
Was mich merkwürdigerweise weniger umtreibt ist die Sorge vor Corona an sich. Ich weiß, dass das eine mehr als ernste Krankheit ist mit höchst unsicherem Verlauf, die auch fitte Leute umbringen kann. Als gerade eine nahe Freundin nach Kontakt zu einem Erkrankten auf ihr Testergebnis gewartet hat, habe ich mir wirklich Sorgen gemacht. Aber als Mutter einer 7‑Jährigen macht mich — für meine Verhältnisse — gelassen, dass Corona eben nicht bevorzugt Grundschulkinder auf die Intensivstation bringt.
Das Schlimme passiert immer den anderen
Ja, Corona ist eine gefährliche Erkrankung, aber es bedroht das Leben meines Kindes nicht mehr als die Zwischen-den-Moabiter-Kissen-Raser in unserer verkehrsberuhigten Straße oder der unbeobachtete Moment im Freibad. Bescheiße ich mich selbst? Wahrscheinlich. Das ist einfach nur der klassische: “Das Schlimme passiert immer den anderen”-Mechanismus, mit dem sich die menschliche Psyche durch die dunkle Welt hangelt.
Das Drumherum der Pandemie belastet mein Kind
Wäre Corona besonders bedrohlich für 7‑Jährige, hätte ich mich seit März mit meinem Kind in der Wohnung verschanzt. Ist doch klar. Aber es ist ja vielmehr das drumherum der Pandemie, das mein Kind belastet. Der Schulausfall, die Kontaktbeschränkungen, mein ständiges “Fass das nicht an!” in der U‑Bahn.
Aktuell wird die Lage verschärft, weil meine Tochter als Erstkontakt eines positiven Falls in Quarantäne ist. Sie tobt sonst jeden Tag über den Spielplatz und geht inzwischen mittelschwer die Wände hoch. Wer will ihr das verübeln?
Meine Haltung färbt aufs Kind ab
Was ich bei all dem merke, wie stark meine Haltung auf mein Kind abfärbt. Zu meinem großen Erstaunen hatte sich das Gesundheitsamt bei uns gemeldet und uns zum Test bestellt. Ich war angenehm überrascht, dass am Tag 12 nach dem letzten Kontakt überhaupt noch getestet wurde. Und entsprechend meiner “Toll, dass die das machen”-Haltung, ist mein Kind munter mit mir zum Test marschiert. Meine Tochter hatte allerdings vorher schon mal einen Test gemacht und kannte das Prozedere mit dem Abstrich im Hals. Sie hat sich auf der Hinfahrt vor allem Gedanken darüber gemacht, welche Sorten sie später für ihr Belohungseis wählen würde. Schokolade und Cookies? Dass wir rund um die Teststelle hinterm Rathaus Wedding andere Kollegen aus der Schulklasse getroffen haben, hat die gute Stimmung noch erhöht.
Es is’ ja wie’s is’
Jetzt haben wir allerdings den Salat, dass der Test ihre Quarantäne verlängert, bis wir das Ergebnis haben. Wenn es richtig dumm läuft, kann mein Kind 17 Tage nach dem letzten Kontakt nicht mal in die Schule, wenn es nach den Ferien wieder losgeht. Doof. Richtig doof. Aber es is’ ja wie’s is’ (wie meine Mutter gesagt hätte). Mein Kind ist enorm genervt und fragt im Viertelstundentakt, ob das Ergebnis schon da ist. “Leider noch nicht. — Ich sage dir schon, wenn ich was weiß.- Ich denke nicht, dass da am Wochenende irgendwas passiert.” Aber in den guten Momenten ergibt sie sich zusammen mit mir dem Unabwendbaren und hüpft derweil von einem Möbelstück zum anderen.
Die Pandemie macht die Glieder schwer
Nach fünf Tagen in Quarantäne, hat uns der Lagerkoller allerdings zunehmend fester im Griff. Gestern war ein Tag, an dem ein Meltdown den anderen jagte. Jede falsche Bewegung von uns Eltern wurde mit Tränen oder einem Wutanfall quittiert. Oder mit beidem. Dass mein Geduldsfaden nach den vielen Tagen in der Bude auch nicht mehr der längste ist, macht die Sache nicht besser.
Ächz. Ich fühle geradezu körperlich, wie mir die Pandemie in den Knochen steckt und meine Glieder schwer macht. Und dann lese ich prompt heute in der Zeitung, dass die Jaulerei über Corona auch nicht gesund sei und uns noch tiefer nach unten zieht. Das stimmt natürlich.
Mit Plänen gegen den Corona Blues
Aber was tun? Irgendetwas tun. Durchatmen. Rücken durchdrücken. Raus in den Goldenen Oktober. Sonne tanken. Die leuchtenden Farben genießen. Durch den nahen Park spazieren und schon mal schöne Stellen ausbaldowern, wo man einen Kaffee auf die Faust bekommt und in den nächsten Wochen Spaziergänge mit Freunden machen kann. Überhaupt: Pläne machen. Das scheint mir ein gutes Mittel gegen den Corona-Blues. Wenn das Testergebnis vom Kind morgen immer noch nicht da ist und die Quarantäne weiterläuft, könnten wir mal wieder Pasta selbst machen. Oder Waffeln. Oder beides.