Pollergate

Pollergate

Die Prenz­lau­er­ber­gi­sie­rung Moa­bits ist nicht mehr auf­zu­hal­ten. End­lich haben auch wir ein Café mit Anti-Kin­der­wa­gen-Pol­lern vorm Eingang.

Gong! Der Ver­tei­lungs­kampf zwi­schen Latte-Mac­chia­to-Eltern und dem Rest der Welt ist eröff­net. Es hat wohl schon vor­her ein Schild mit der Bitte gege­ben, Kin­der­wa­gen drau­ßen zu las­sen. Aber das hat nicht gereicht.

Der Stereo-Zaunpfahl

Zwei kalte, abwei­sen­de Metall­pfäh­le muss­ten her. Für die einen sind die zwei in den Zement geramm­ten Pol­ler der Ste­reo-Zaun­pfahl für die bera­tungs­re­sis­ten­ten Eltern, die ein­fach nicht ein­se­hen wol­len, warum ihr schwei­ne­teu­res Sta­tus­sym­bol drau­ßen vor der Tür war­ten muss wie der letz­te Dackel. Die ande­ren kön­nen in die­sen Pol­lern nur eines sehen: DISKRIMINIERUNG!!!!! Die Maß­nah­me ist natür­lich dras­tisch. Ich bin hin- und her­ge­ris­sen, wie ich das fin­den soll. Die Pol­ler sind ein abso­lut abwei­sen­des State­ment, das kei­nen Raum für Inter­pre­ta­tio­nen lässt. Gleich­zei­tig kann ich die Moti­va­ti­on der Besit­ze­rin nach­voll­zie­hen, ihre Räum­lich­kei­ten sind ein­fach mal recht beengt.

Pure Heuchelei

Weit­aus weni­ger zwie­späl­tig bin ich, was den Ton­fall betrifft, mit dem gera­de die Empö­rungs­sau durchs urba­ne Dorf getrie­ben wird: Was für eine Heu­che­lei, was für eine Arro­ganz! Die Pol­ler sind schon eine Weile da, aber erst seit die BZ einen Tweet zum Thema auf­ge­grif­fen hat, regen sich die Men­schen auf. Kurz nach­dem der Arti­kel online erschie­nen ist (die Online-Aus­ga­ben von Tages­spie­gel, Bild, Kurier und Spie­gel folg­ten als­bald), tru­del­ten miese Bewer­tun­gen bei Goog­le ein, die über die Dis­kri­mi­nie­rung der Eltern klag­ten und auf die armen Men­schen im Roll­stuhl ver­wie­sen, die wegen der Pol­ler eben­falls nicht mehr in das Café kämen.

Dieser Eingang war noch nie barrierefrei

Was unse­re selbst­er­nann­ten Kämp­fer für die Rech­te von Men­schen mit ein­ge­schränk­ter Mobi­li­tät dabei über­se­hen (weil sie womög­lich noch nie vor Ort waren): Am Ein­gang zum Café ist eine Stufe, die unge­fähr 15 cm hoch ist. Die­ser Ein­gang war noch nie bar­rie­re­frei und ist von einem Men­schen im Roll­stuhl ohne Hilfe nicht zu bewäl­ti­gen. Aber das hat die bra­ven Bug­a­boo-Besit­zer bis dato nicht gestört – sonst hätte man die man­geln­de Bar­rie­re­frei­heit schon ab Eröff­nung des Cafés ankrei­den kön­nen. Hat aber kei­ner. Und warum nicht? Die Betrei­be­rin ver­weist dar­auf, dass es einen zwei­ten Ein­gang gibt, über den Roll­stuhl­fah­rer ins Café gelan­gen kön­nen. Doch das inter­es­siert die Empör­ten nicht. Denn über die­sen Ein­gang dür­fen sie mit ihrem Kin­der­wa­gen ja auch nicht rein.

Grenzen für die Mittelschicht

Der Grund für die Empö­rung liegt woan­ders. Wir erle­ben hier, was pas­siert, wenn Men­schen Gren­zen auf­ge­zeigt bekom­men, die das sonst in ihrem All­tag ein­fach zu sel­ten erle­ben – die gut ver­die­nen­de Mit­tel­schicht mit schö­nen Kin­dern, die nied­li­che Namen tra­gen und in edlen Kin­der­wa­gen schla­fen. Men­schen, die die zeit­li­chen und finan­zi­el­len Res­sour­cen haben, ihre Eltern­zeit mit ange­neh­men Din­gen zu ver­brin­gen. Men­schen, die tat­säch­lich in vie­len Punk­ten pri­vi­le­giert sind und auf der Son­nen­sei­te des Lebens ste­hen. Kurz: Men­schen, bei denen es ein­fach flutscht. Und das sei ihnen auch gegönnt. Wirklich.

Die Privilegierten schreien DISKRIMINIERUNG

Aber anschei­nend sind es diese Men­schen nicht gewohnt, dass mal etwas nicht nach ihrer Nase läuft. Dass ihre Pri­vi­le­giert­heit nicht alle Türen öff­net. Und die dann sofort laut­hals „DISKRIMINIERUNG!!!!!“ schrei­en (obwohl sie keine Ahnung davon haben, wie sich das tat­säch­lich anfühlt) und einem Geschäft bewusst Scha­den über miese Online-Bewer­tun­gen zufü­gen wol­len. Dabei soll doch ein­fach nur der Kin­der­wa­gen drau­ßen blei­ben. Mehr ist doch gar nicht pas­siert. Bis vor eini­ger Zeit gab es in Moa­bit ein Kin­der­ca­fé, bei dem nach mei­ner Erin­ne­rung eben­falls aus Platz­grün­den die Kin­der­wa­gen vor der Tür blei­ben muss­ten. Da gab es nicht so ein Geschrei.

Trolle sind auf Verdacht mit empört

Sei’s drum. Das Café ist in den Schlag­zei­len (bun­des­weit!), dafür hätte eine PR-Agen­tur viel, viel Geld genom­men. Und das Café hat offen­sicht­lich eine treue Fan­ge­mein­de, die im Inter­net bis­lang noch mühe­los gegen den Shit­s­torm hält und posi­ti­ve Bewer­tun­gen hin­ter­lässt. Wobei auch zu beob­ach­ten ist, dass immer mehr Trol­le aus ihren Höh­len gekro­chen kom­men und ein­fach mal auf Ver­dacht mit empört sind. Dass sie bei ihren nega­ti­ven Bewer­tun­gen eine gera­de­zu schmerz­haf­te Unkennt­nis der Sach­la­ge zur Schau tra­gen, scheint sie nicht zu bremsen.

Moabits Skandal wird zügig vergessen

Aber die Erfah­rung zeigt, dass Empö­rung im Netz nicht nur schnell hoch­kocht, son­dern auch schnell wie­der run­ter. Die Café­be­sit­ze­rin kann dar­auf hof­fen, dass ihr Pol­ler­ga­te zügig von ande­ren Ber­li­ner Schlag­zei­len in der Time­line nach unten gescho­ben wird. Die treu­en Fans wer­den blei­ben. Die ver­meint­lich Dis­kri­mi­nier­ten wer­den eh wie­der zurück nach Rhein­land-Pfalz zie­hen, bevor die Kin­der ein­ge­schult wer­den. Und wenn Klin­si am Wochen­en­de den ers­ten Sieg mit Her­tha holt, träumt sowie­so ganz Ber­lin von der Cham­pi­ons League.

Stay tuned.

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